Das Baltikum mit Estland, Lettland und Litauen
30.07. – 27.08.
Bei unseren Überlegungen für den kommenden Urlaub waren natürlich die Erinnerungen an den letzten mit entscheidend. Wir waren 2009 vier Wochen mit unseren Motorrädern in Norwegen. Ein Urlaub, der uns mal wieder in einsame Regionen führte, mit viel Natur und eben totaler Ruhe und Entspannung. Sicher gehört es für die meisten Norwegenfahrer dazu bis hinauf zum Nordkap zu reisen, aber wir erlebten herrliche vier Wochen im Süden Norwegens ohne uns eben unter Zeitdruck zu setzen.
Aber, auch das gehörte zu unserem Norwegentrip mit den Motorrädern, wir lebten mehr in unseren Regenkombis und übernachteten in Hyttas denn in unserem Zelt. Diese Erinnerungen waren jetzt für die Planungen des kommenden Urlaubs entscheidend. So fiel uns sofort die nassklamme Kleidung ein die uns jeden Morgen erwartete. Von daher sollte es diesmal wieder mit unserem Wohnwagen auf Tour gehen, wir wollten also ein „festes Haus“ dabeihaben. Und gepaddelt sind wir auch schon lange nicht mehr. Zusammen mit unseren Erinnerungen an Polen kamen wir dann auf das Baltikum. Auf dem Dach unseres PKW’s das Kajak, im Wohnwagen die beiden Fahrräder, das musste gehen.
Und so ging es dann los um erneut ein Land oder in diesem Fall drei Länder zu bereisen, die bis 1989 noch hinter dem „eisernen Vorhang“ lagen und somit für uns Westdeutsche (noch) nicht so einfach zu bereisen waren.
Ein kurzer Blick zurück auf die Geschichte des Baltikums …
Zum Ende des zweiten Weltkrieges wurden diese drei baltischen Republiken als Sozialistische Sowjetrepubliken von der Sowjetunion einverleibt. Die eigentliche Bevölkerung wurde durch die sowjetische Ansiedlungspolitik – immer mehr Russen siedelten an – zur Minderheit im eigenen Land.
Wie auch in anderen Ländern Osteuropas wuchs mit den Jahren das Verlangen, sich von der Sowjetunion zu lösen und unabhängig zu werden, mehr und mehr an. Ich kann mich noch gut daran erinnern wie neben den Montagsdemonstrationen in der DDR auch in anderen Ländern Osteuropas Menschen auf die Straßen gingen. Im August 1989 bildeten dann 2 Millionen Menschen eine rd. 600 km lange Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius um für die Unabhängigkeit dieser baltischen Staaten zu demonstrieren. 1990 erklärten diese drei Staaten ihre Unabhängigkeit in deren Folge es noch zu einzelnen Auseinandersetzungen kam, so z.B. die Besetzung des litauischen Fernsehturms bei dessen Sturm es zahlreiche Tote und Verletzte gegeben hat.
Seit 1991 sind diese drei Staaten von der Sowjetunion unabhängig und traten 2004 der NATO und der EU bei.
Soviel zum geschichtlichen Hintergrund. Unsere Anreise war relativ unspektakulär. Wir hatten die rund 1.500 km auf dem Landweg über Polen gewählt. Eine Alternative wäre die Fähre Kiel – Klaipeda gewesen.
Übernachtungen
Wir waren mit unserem Wohnwagen unterwegs und hatten somit wieder einmal alles dabei. Wir waren offen für Campingplätze, die in den letzten 20 Jahren teilweise neu errichtet wurden und von daher sehr gut ausgestattet sind. Sie liegen natürlich dort wo es die meisten Baltikumurlauber hinführt, also die Regionen, in denen auch die meisten Touristen ihren Urlaub verbringen. Wir haben diese Plätze zumeist jedoch nur als Zwischenstopps genutzt und häufiger „wild“ gecampt. Außerhalb der Städte, Nationalparks und Naturschutzgebiete ist dies, wie auch in Norwegen, erlaubt. Aber auch in den Nationalparks gibt es Infozentren denen Parkplätze aber auch Übernachtungsplätze angegliedert sind und auf denen gegen eine kleine Gebühr das Übernachten ausdrücklich erlaubt ist. Vielfach besitzen diese Plätze kleine Sitzgruppen, ausgebaute Feuerstellen und einfache Toiletten oder während der Öffnungszeiten sind auch die Sanitäranlagen der Infozentren zu benutzen.
Natur in Hülle und Fülle …
… doch zunächst einmal noch etwas über das wir auch unterwegs stießen.
Waren die großen Städte in allen drei Ländern wie auch in anderen Urlaubsländern schon gut besucht so war es abseits dieser Städte einsam und leer.
geographischen Mittelpunkt Europas
Selbst am 1989 in Litauen ermittelten geographischen Mittelpunkt Europas als Flächenschwerpunkt im Dorf Purnuškės etwas nördlich von Vilnius trafen wir kaum andere Besucher und hatten diese aufwändig herausgestellte aber auch ausgeschilderte Sehenswürdigkeit für uns alleine.
Natur erleben war dann sowohl wandernder Weise als auch mit unserem Kajak angesagt. Aber egal wo es uns hin trieb, zumeist waren wir alleine in der unberührten Natur.
das stillgelegte Atomkraftwerk Ignalina
Es gibt jedoch nicht nur bebautes, vor allem für Touristen hergerichtetes. So stießen wir unterwegs plötzlich auf ein Hinweisschild zum stillgelegten Atomkraftwerk Ignalina. Sicher hatten wir es in der Ferne schon gesehen jedoch nicht gleich als ein Atomkraftwerk erkannt. Beide 1983 bzw. 1986 in Betrieb genommen Kraftwerkblöcke wurden 2004 bzw. 2009 wegen öffentlichen Widerstandes und Sicherheitsbedenken der Europäischen Union abgeschaltet, nicht zuletzt auch wegen des Ursprungs aus der Tschernobyl-Baureihe.
Die Liste der Risiken und ökologischen Folgen, vor allem für den zur Kühlung verwendeten Drukshyai-See dessen Wassertemperatur auf 28° angestiegen war, aber auch der zahlreichen Störfälle von Rohrbrüchen, Leitungsrissen bis hin zur Freisetzung von 12 Tonnen Kühlwassers wegen sich spontan öffnender Ventile führten schließlich zur Abschaltung und Außerbetriebnahme dieser schon 1990 als eine der unsichersten der Welt eingestuften Atomanlage. Wir folgten diesem Hinweis und standen dann plötzlich auf dem großen Parkplatz, auf dem schon etliche Autos standen. Wir waren also nicht die einzigen Besucher an diesem Tag. Die Ausstellung in den Informationsräumen informierte nicht nur über die Technik. Sie widmete sich auch den Risiken, die vor allem nach Tschernobyl zutage getreten waren und berichtete über Pannen und Störfälle. Zumindest einige.
Raketensilos?
Da wir gerade bei Atomkraft sind. Bei einer Radtour in Litauen stießen wir plötzlich auf diese betonierten Kuppeln. Zuvor waren schon etliche Zäune zu sehen gewesen, die teilweise jedoch schon Verrottungsspuren aufwiesen. Jetzt erklärten sich diese Zäune.
Die Tafeln, die dieses Gelände umgaben, waren für mich nicht lesbar. Viele waren auch schon verrottet oder vom Zustand her nicht mehr lesbar. Ich war so mutig und kletterte durch den ziemlich leicht überwindbaren Zaun hindurch, bis zu der Betonkuppel. Die Kuppeln selbst waren alle noch geschlossen und in Ordnung, jedoch an ihrem Rand blickte ich in einen sehr tiefen Schacht. Was ich sehen konnte kam mir bekannt vor, zumindest hatte ich es in unzähligen Filmen schon gesehen. Danach war es ein Blick in ein Raketensilo und natürlich war es leer.
Doch kommen wir zu anderen, bestimmt auch „schöneren“ Bauwerken die wir in diesen vier Wochen zu sehen bekamen.
bei Agnola in Litauen
Die Basilika Mariä Himmelfahrt bei Agnola in Litauen war schon beeindruckend, allein schon von außen. Wir waren drei Tage vor Maria Himmelfahrt dort. Aus Anlass des Besuchs von Papst Johannes Paul II in den 1990er Jahren wurde vor der Basilika ein großer Platz eingerichtet auf dem sich die zahlreichen Pilger bei den Prozessionen versammeln. Als wir auf diesem Platz waren konnten wir sehen wie dort zahlreiche hölzerne Beichtstühle aufgesetzt wurden, ein Bild was ich in dieser Form noch nirgends erlebt habe. Massenbeichte, naja.
Tartu in Estland
Tartu in Estland, das sich selbst als die älteste Stadt im Baltikum sieht (1030) und somit auch über eine leidvolle Geschichte zu berichten weiß (Zarenkriege, blutige Kreuzzüge des Deutschen Ritterordens, wechselnde russische, schwedische, polnische und dänische Herrschaften) weist nur noch wenige Bauten und somit Zeitzeugen dieser alten Geschichte auf. Eines davon ist das alte Observatorium am Domberg, indem im 19. Jahrhundert das weltgrößte Spektrometer untergebracht war.
Auch im angrenzenden Park, auf der Rasenfläche, gab es noch so ein seltsames Gebäude was jedoch nicht beschrieben wir, aber irgendwie zu dem anderen passte.
Teufelsbrücke und Engelsbrücke in Tartu
Dann gibt es in Tartu 2 Brücken, natürlich neben den vielen anderen die es natürlich auch gibt, die jedoch noch erwähnenswert sind und die wir uns angeschaut haben. Zum einen ist es die Teufelsbrücke. Was diese Brücke teuflisches hat erschloss sich uns nicht, wohl aber gab es mehrere Erklärungen. So brachte eine davon diese Brücke in Verbindung mit der naheliegenden Engelsbrücke, eine andere, die in der Errichtung zur 300 Jahrfeier der Romanow-Dynastie fusst und somit evtl. mit „Teufel“ den damaligen Zar Romanow meinen könnte. Ursprünglich war es eine Holzbrücke die zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch diese Betonbrücke ersetzt wurde.
Wie schon gesagt befindet sich nicht weit entfernt davon die Engelsbrücke. Auch hier rätselten wir lange um den „Engel“ irgendwie zu sehen. Zu erkennen war jedoch „nur“ ein Porträtrelief des ersten Rektors der Universität Tartu’s und eine Inschrift OTIVM REFICIT VIRES, was übersetzt „Erholung gibt neue Kraft“ bedeutet. Vielleicht ist jedoch der Name Engelsbrücke auch von „englischer Brücke“ abgeleitet da der Domberg, zu dem diese Brücke führt, im englischen Stil angelegt ist.
Und weiter ging es in Estland auch in die Hauptstadt Tallinn.
Tallinn – Viru-Tor
Eins der ursprünglich einmal acht Stadttore in der Stadtmauer, die Tallinn umgab, ist das Viru-Tor, das auch den Eingang zur Altstadt bildet. Von dem im 14. Jahrhundert erbauten Viru-Tors stehen heute nur noch die beiden runden Ecktürme. Das viereckige Haupttor musste der Einfahrtstraße in die Altstadt und damit dann der Pferdebahn, die hier einmal entlang ging, Platz machen.
Tallinn – das Rathaus
Das Tallinner Rathaus ist das älteste und einzige erhalten gebliebene Rathaus im gotischen Stil in Nord-Europa. Es steht mitten in der Altstadt und ist eins der Wahrzeichen der Hauptstadt. Das 1404 errichtete Rathaus dient heute überwiegend Repräsentationszwecken, seinen es festliche Empfänge oder auch Konzerte. Die eigentlichen Amtsgeschäfte werden seit den 70iger Jahren des letzten Jahrhundert in einem neuen, modernen Gebäude getätigt.
Der Platz vor dem Rathaus dient auch heute noch als Marktplatz oder auch Ort für andere Feierlichkeiten während der Pranger, der auf diesem Platz stand, schon lange verschwunden ist.
Ausblick vom Domberg in Tallinn
Einen herrlichen Blick auf die Altstadt, aber auch auf die Ostsee hat mensch vom Domberg. Tagsüber sehr überlaufen, auch wegen der unzähligen Touristen die von den Kreuzfahrtschiffen in Tallinn einfallen, ist ein weitestgehend ungetrübter Blick am Abend möglich, ja fast schon gewährt.
Das im 13. Jahrhundert errichtete Schloss, auf das vom Domberg aus ein Blick möglich ist, wurde von den deutschen Schwertrittern erbaut und bildete das Machtzentrum. Heute residiert hier das estnische Parlament.
Im Hintergrund auf der Ostsee sind die zahlreichen Kreuzfahrt-schiffe zu sehen, die Tallinn auf ihren Fahrten anlaufen.
Tallinn – Alexander-Newski-Kathedrale
Ebenfalls auf dem Schlossberg steht die Alexander-Newski-Kathedrale. Gebaut wurde sie zwischen 1894 und 1900 als russisch-orthodoxe Kathedrale. Während der Unabhängigkeit Estlands sollte die Kathedrale, die als Symbol der Russifizierung gesehen wurde, im Jahre 1924 abgerissen werden. Was, wir wir ja selbst sehen konnten, diese Kathedrale überlebt hat.
Tallinn – das Schloss Toompea
Ursprünglich stand hier die Burg Tallinn, die im 13. Jahrhundert errichtet wurde. Das heutige Schloss entstand 1767 – 1773 unter der Zarin Katharina die Große, die große Teile der alten Burg abreißen und nach dem Vorbild in St. Petersburg diesen Barockpalast errichten ließ. Doch dieses Schloss wurde durch einen Brand zerstört. 1922 entstand dann dieses Gebäude.
Heute arbeitet hier das Parlament der Republik Estland, und auf dem 45,6 Meter hohen Turm des Langen Hermann weht die estnische blau-schwarz-weiße Flagge – das Symbol des unabhängigen Staates Estland.
Tallinn – Die St. Katharinenpassage
Dieser berühmte Durchgang in der Altstadt ist das Zuhause der St.Katharinengilde. Dabei handelt sich um eine Ansammlung an Handwerkstätten, wo Künstler traditionelle Methoden anwenden, um Glaswaren, Hüte, Steppdecken, Keramik, Schmuck, handbemalte Seide und vieles mehr herzustellen und zu verkaufen. Die Werkstätten sind in kleinen Räumen aus dem 15. bis 17. Jh. auf der Südseite der Gasse untergebracht. Es handelt sich um offene Studios, so dass wir den Künstlern bei der Arbeit zuschauen konnten, sei es beim Glasblasen, Weben oder Töpfern.
Denkmal „die gebrochene Linie“
Dieses Denkmal wurde auf der
Bastion des Großen Strandtores in Tallinn zum Gedenken an die tragisch verunglückten Schiffsreisenden von der “Estonia” errichtet.
Das Fährschiff “Estonia” ging in der Nacht zum 28. September 1994 auf dem Weg von Tallinn nach Stockholm unter. 137 in Seenot geratene Menschen konnten gerettet werden, 852 Menschen kamen ums Leben, von denen 757 als vermisst erklärt wurden.
Tallinn – Song Festival Ground
Legendären Status in Estland hat das „Laulupidu“, wie dieses Songfestival genannt wird. Erstmals 1869 fand das erste Liederfest in Tartu statt. Vier Jahre später folgte Lettland mit dem allgemeinen lettischen Liederfest und auch in Litauen gibt es seit 1924 diese Kultur des nationalen Liederfestes. Der Einfluss bzw. die Zugehörigkeit zur Sowjetunion ließ diese Kultur jedoch verkümmern. Nachlanger Pause fand im September 1988 bei Tallinn das Festival „Estlands Lied 1988“ statt. Über 300.000 Menschen aus dem gesamten Baltikum nahmen an diesem Festival teil. Es war mit ein Teil der aufstrebenden Unabhängigkeitsbewegung, die ein Jahr später, im August 1989 auch rd. zwei Millionen Menschen eine 600 Kilometer lange Menschenkette von Vilnius über Riga nach Tallinn bilden ließ. Diese „Singende Revolution“ im Baltikum trug mit zur Auflösung der Sowjetunion 1991 bei.
Dieses estnische Liederfest findet seit 1994 jetzt alle fünf Jahre in Tallinn statt (nächste Veranstaltung: 2019). Beim Liederfest 2014 traten über 33.000 Sänger vor fast 153.000 Zuhörern auf.
Die heutige Konstruktion einer Liedermuschel, der sogenannten Sängerbühne (Laululava), stammt von den estnischen Architekten Alar Kotli und Henno Sepmann. Die Anlage wurde in den Jahren 1957 bis 1960 errichtet. Die bis zu 15.000 Sänger versammeln sich auf einer bis zu 73 Meter breiten Treppenbühne, die aus akustischen Gründen von einem bis zu 32 Meter hohen Trossennetz in Form eines hyperbolen Paraboloids überspannt ist. Sie wiegt 80 Tonnen.
An der Nordseite der Sängerbühne steht der 1969 zur Hundertjahrfeier des Liederfests eingeweihte 42 Meter hohe Turm, auf dessen Dach sich ein Feuer befindet, das zu Beginn des Liederfests entzündet wird.
Etwa eine halbe Million Zuschauer können vom Lauluväljak auf die Sängerbühne und die dahinter liegende Ostsee blicken. Das Zuschauerfeld steigt in Richtung des Stadtteils Lasnamäe an. Auf der Wiese steht das Denkmal für den Dirigenten und Komponisten Gustav Ernesaks (1908–1993), das während des XXIV. Liederfestes 2004 eingeweiht wurde.
Cesis in Lettland
Cesis hatte für uns zwei Highlights zu bieten.
Russisch orthodoxe Kirche in Cesis – Lettland
Da ist zum einen die orthodoxe Christi Verklärungskirche, die 1842 auf dem alten Fundament und aus den Ruinen der alten St. Katharina Kirche entstand. Wir haben sie uns nur aus der Ferne angeschaut.
Ruine der mittelalterlichen Burg in Cesis
Zum anderen war es die Ruine der Burg Cesis.
Von der einstigen Burg „Wenden“ (das ist auch die deutsche Übersetzung für Cesis) stehen heute nur noch Ruinenreste. Auch hier waren wieder deutsche Kreuzritter (Schwertbruderorden) 1209 diejenigen, die diese Burg aus Stein errichten ließen. Fast 300 Jahre war dies auch der Hauptsitz des Deutschen Ordens bevor sie wegen der Belagerung durch Truppen von Ivan dem Schrecklichen selbst gesprengt wurde. Wieder aufgebaut wurde sie dann 1721 endgültig zerstört.
Berg der Kreuze – 12 km nördlich von Šiauliai in Litauen
Nach der dritten Polnischen Teilung wurde Litauen Teil des Russischen Reiches. In der Folgezeit rebellierten Polen und Litauer zweimal gegen die Russische Obrigkeit und zwar im Novemberaufstand der Jahre 1830/31 sowie im Januaraufstand 1863/64. Beide Aufstände gegen das zaristische Regime wurden blutig niedergeschlagen. Zu dieser Zeit sollen die Bewohner der Umgebung begonnen haben, auf dem Hügel Kreuze für ihre bei den Aufständen getöteten Angehörigen aufzustellen, von denen sie nicht wussten, wo sie begraben sind. Andere Quellen gehen davon aus, dass die Aufständischen auf dem Hügel hingerichtet wurden.
1900 standen 150 und 1940 etwa 400 Kreuze auf dem Hügel. Nachdem die Sowjetunion im Juni 1940 Litauen okkupiert hatte und 1940/1941 und erneut von 1945 bis 1953 mehr als 100.000 Litauer nach Sibirien deportiert wurden, nahm das Aufstellen der Kreuze ab. Als nach Stalins Tod 1953 die Überlebenden unter den Deportierten nach und nach aus Sibirien zurückkehrten, stellten sie sogleich Kreuze zur Erinnerung an die im Gulag Verstorbenen auf. Ebenso errichteten viele politisch Gefangene und Gläubige weitere Kreuze. Dadurch wurde zunehmend der litauische Wallfahrtsort zu einem politischen Symbol gegen die kommunistische Herrschaft der Sowjets in Litauen. Der Hügel war daher zunehmend ein Dorn im Auge des kommunistischen Regimes in Litauen, und am 16. Juni 1959 befasste sich erstmals das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Litauens mit dem Hügel. Es wurde beschlossen, den angeblich heiligen Ort zu zerstören. Eine erste Vernichtungsaktion fand am 5. April 1961 statt. Hierbei wurden die Kreuze mit Bulldozern niedergewalzt, 2.179 Kreuze vom Hügel geholt und die Holzkreuze verbrannt. Eiserne Kreuze wurden zum Schrott gegeben, die Stein- und Betonkruzifixe zerschlagen, vergraben oder im naheliegenden Bach versenkt. Doch bereits in der nächsten Nacht wurden neue Kreuze errichtet. 1973, 1974 und 1975 wurden diese Zerstörungsaktionen des Regimes wiederholt, jedoch blieb der Kreuzzug der Kommunisten gegen den Berg der Kreuze erfolglos, wodurch der Berg zunehmend zum Symbol des nationalen Widerstands wurde. 1990 soll es bereits 40.000 Kreuze auf dem Hügel gegeben haben.
Zusätzlich stieg die Zahl der Kreuze als im Januar 1991 im Kampf um die nationale Unabhängigkeit Litauens vierzehn Menschen bei der Erstürmung des Fernsehturms in Vilnius durch sowjetische Spezialtruppen ihr Leben lassen mussten. Anfang der 1990er Jahre wurde von Studenten der Universität Vilnius ein Versuch unternommen, die Zahl der Kreuze, die sich inzwischen auf einer Fläche von einem Hektar neben dem Hügel ausbreiten, zu bestimmen. Bei 50.000 Kreuzen haben sie zu zählen aufgehört. Nicht mit einbezogen wurden damals die kleinen Kreuzanhänger und Rosenkränze, die an größere Kreuze gehängt werden. Diese verstärken die mystische Stimmung des Ortes, wenn sie schon bei leichtem Wind aneinanderschlagen und dabei ein leises Geläut bzw. Klappern von sich geben.